Die Kraft der Pause
“Gib Dir selbst die Erlaubnis innezuhalten. Es liegt Heilung und Schönheit in der Pause.”
“Und alle Zeit, die nicht mit dem Herzen wahrgenommen wird, ist so verloren wie die Farben des Regenbogens für einen Blinden oder das Lied des Vogels für einen Tauben.”
Stille … Verlangsamung … Pause – der neue Luxus?
Eine Pause kann vieles sein und für jeden Menschen etwas anderes. Sie kann eine individuelle Form und Länge haben.
Sie kann ein Raum sein, wo wir unproduktiv sein dürfen, keine Verantwortung tragen müssen, nicht hilfreich sein müssen.
Oder sie kann ein „Dazwischen“ sein. Eine Zeit zwischen dem Alten und Neuen. Eine Phase des „Nicht mehr“ und „Noch nicht“. Ein kreatives Chaos. Ein Ausbrüten. Eine Phase in einem Übergangsprozess. Das fühlt sich manchmal unangenehm und verstörend an.
Manchmal wird uns auch von außen ein Tempo aufgezwängt, das nicht das eigene ist. Denn das Zeitempfinden ist individuell. Wir sind die Zeit.
Dazu auch S. Barron Hall
Nine types of rest
“Ein europäischer Biologe hatte für eine Himalaja-Expedition eine Gruppe indischer Träger angeheuert. Der Forscher war in großer Eile, denn er wollte schnell an sein Ziel kommen. Nachdem die Gruppe den ersten großen Pass überschritten hatte, erlaubte er den Trägern eine kurze Rast. Nach einigen Minuten rief er aber wieder zum Aufbruch. Die indischen Träger blieben aber einfach auf dem Boden sitzen, als hätten sie ihn gar nicht gehört. Sie schwiegen und ihr Blick war zu Boden gerichtet. Als der Forscher die Inder schärfer aufforderte, weiterzugehen, schauten ihn einige von ihnen verwundert an. Schließlich sagte einer: „Wir können nicht weitergehen. Wir müssen warten, bis unsere Seelen nachgekommen sind.”
1.Ein Buch
“Erst als ich begriff,
dass ich ein tiefes Bedürfnis nach Stille habe,
begann ich,
die Stille zu suchen”
Erling Kagge beschreibt in seinem Buch seine Suche nach Stille. Aber auch, wie er erstmal das Bedürfnis danach spüren und ernst nehmen musste. Und auf seiner Suche beschäftigt er sich mit drei Fragen:
„Was ist Stille? Wo ist sie? Warum ist sie heute wichtiger denn je? […] Schließlich hatte ich dreiunddreißig Versuche einer Antwort“ (ebd. S. 14)
Die Stille vermissen
Eine Vorlesung zum Thema, die Kagge einmal in Schottland hielt, begann er mit folgender Übung: Er schlug eine Minute der Stille vor. „Es wurde absolut still, man hätte eine Stecknadel fallen hören. […] Die Studenten blieben still. Sie hörten zu. Es schien, als hätten sie die Stille vermisst“ (ebd. S. 13f.).
Auch ich bemerke mein (zunehmendes?) Bedürfnis nach Momenten, in denen es keine Geräusche – oder nur angenehme – gibt. So empfinde ich das Meer als einen Ort der Stille, obwohl die Wellen rhythmische Geräusche machen und die Möwen schreien.
Ist es auch dieses Bedürfnis, das viele Menschen neuerdings immer mit Kopfhörern oder Air Pods herumlaufen lässt? Vielleicht hören ja manche gar keine Musik, sondern genießen – so wie ich gerade im Zug – die Noise Cancelling Funktion, über die mittlerweile die meisten dieser Geräte verfügen. Den Lärm abschalten, die Welt aussperren oder zumindest reduzieren. Wie in Watte gepackt hören sich die Umgebungsgeräusche irgendwie milder, leiser an.
Der stillste Ort
Für Kagge ist der stillste Ort, an dem er gewesen ist, die Antarktis.
Das Empfinden von „ohrenbetäubender Stille“ hatte ich kürzlich in der Kapelle einer Bildungsstätte in Vorarlberg. Dort in einem Naturschutzgebiet gelegen, war es insgesamt bis auf Vogelgezwitscher sowieso überall himmlisch still. Aber in dieser kleinen Kirche war es, als hätte jemand den Ton abgeschaltet. Selbst die Menschen, die außer mir dort waren, schienen kaum zu atmen, um die Stille nicht zu stören. Dieser Eindruck war unbeschreiblich und unerwartet. Ein Geschenk. Unbezahlbar. Fremd.
“Stille heißt, eine Pause einlegen, um Dinge wiederzuentdecken, die uns Freude bereiten”
2.Ein Musikstück
Ein Ausstellungsbesuch im Brandhorst Museum in München erinnert mich daran, wie man eine Pause auch füllen kann.
In der Ausstellung „Fünf Freunde“ wurde ich an das berühmte Stück von John Cage erinnert:
In stressigen Zeiten kann ich nur empfehlen, sich die
4 Minuten und 33 Sekunden Zeit zu nehmen.
Zur Verlangsamung.
Zum Innehalten.
3.Ein Gedicht
“Verlangsamung
innehalten
verantworten im Moment
konzentrierte Aufmerksamkeit
das wenig Wichtige
the art of being
Kraft und Energie
Kernfusion
ich bin bereit ganz zu sein”
4.Ein Tipp
Als ich heute in einer Pause ein wenig auf der Webpage von FUTURZWEI. Stiftung Zukunftsfähigkeit herumstöbere – und da gibt es viel zu stöbern und zu entdecken – stoße ich auf folgendes Projekt: VEREIN ZUR VERZÖGERUNG DER ZEIT.
Er wurde bereits 1990 gegründet und hat u.a. das Ziel, ein wenig zu provozieren. Aber er will aber auch darauf hinweisen, dass der Entschleunigung mehr Beachtung geschenkt werden sollte als der Beschleunigung. Viele Mitglieder sehen den VEREIN ZUR VERZÖGERUNG DER ZEIT als einen hilfreichen Rückhalt an. Man ist mit seinem von der Mehrheit abweichenden Umgang mit Zeit nicht allein. Andere forschen zum Thema Zeit und wieder andere wollen lediglich ab und zu einen Austausch, der über den „small-talk über diese schnelllebige Zeit“ hinausgeht.
“Die Mitglieder im Verein zur Verzögerung der Zeit verpflichten sich zum Innehalten, zur Aufforderung zum Nachdenken dort, wo blinder Aktivismus und partikulares Interesse Scheinlösungen produziert.”
Die „Not-to-do-Liste“ bringt mich zum Schmunzeln und deshalb verlinke ich sie hier.
Lesenswert finde ich auch das “Zeitmanifest”.
5.Ein Zitat
“Der Lärm wird in Befragungen von Lehrkräften immer wieder an vorderster Stelle genannt, wenn es um die größten Belastungsfaktoren in ihrem Beruf geht.”
Ende, Michael (1973): Momo. Stuttgart: K. Thienemanns Verlag.
Erlacher, Katharina (2023): Dialogkarten. Dörfles: Renate Götz Verlag
Kagge, Erling (2025): Stille. Ein Wegweiser. Berlin: Inselverlag.
Klatte, Maria (2024): Akustik in Schulen. Zit. n. https://deutsches-schulportal.de/schulkultur/was-hilft-gegen-laerm-in-der-schule/ (Zugriff: 15.10.2025)
Nohl, Martina (2011): Übergangscoaching. Paderborn: Jungfermann Verlag.